Toll Collect - Verpeilen im industriellen Maßstab

Der erste Vortrag am dritten Tag wandte sich einem schlagzeilenträchtigen Thema zu: Toll Collect und der LKW-Maut. Schon der Auftakt war amüsant, der Referent Volker Birk tauchte in einem Frosch-Kostüm auf und stellte sich als "Kermit der Verkehrsminister" vor. ;-)

Danach kam der große Rundumschlag. Der Vortrag begann mit der Vergabe. Es gab eine Ausschreibung mit hohen Vertragsstrafen ab dem ersten Tag! Daraufhin stiegen die Schweizer von FELA wg. der damit verbundenen finanziellen Risiken aus. Toll Collect bekam dann den Zuschlag - ohne Vertragsstrafen! Vodafone/Siemens, die sich auch an der Ausschreibung beteiligt hatten, klagten dagegen, die Lösung: TollCollect und Voda/Siemens machten halbe-halbe ...

Der Vertrag umfasst 17.000 Seiten, 34 Aktenordner, die zur Demonstration aufgebaut wurden. Saddams Bericht an die UNO über die irakischen Waffenprogramme umfasste "nur" etwa 11.000 Seiten. Noch 'ne kleine Anekdote am Rande: Bei der TV-Unterzeichnung wurden nur Dummies unterschrieben, der echte Vertrag wurde bei einem Notar in der Schweiz unterzeichnet.

Die Entwicklungskosten belaufen sich nach Angaben des Referenten irgendwo zwischen 200 Mil. und 1. Mrd. Euro, was etwa 2.000 bis 10.000 Personenjahre Entwicklungsaufwand macht. Der Referent fragte sich: Wofür?

Die Satelliten können es nicht gewesen sein, die sind amerikanischer Herkunft und schon da! Kleincomputer kann man preiswert einkaufen, für das Kommunikationssystem schätzte der Dozent 10 Personenjahre, für die Abrechnungssoftware 20 PJ, für die Mautterminals POS in Tanksstellen 5 PJ - und für den Webauftritt 100 Mio. Euro, solche Auftritte sind teuer, der Referent erinnerte an die teuren Seiten des Arbeitsamtes. Bleibt noch ein großer Posten übrig!

Für die Kommunikation mit den Gerätchen in den Lastern (den OBUs) wird Infrarot verwendet. Was durch Wasser und Schmutz nicht funktioniert, in Deutschland regnet es bekanntlich nie und Laster-Scheiben sind immer sauber, merkten die Referenten süffisant an.

Über das Online-Softwareupdate können keine neuen Tarifmodelle eingespielt werden. OBU zeichnet sich durch einen oxorbitanten Standby-Stromverbrauch aus, 2A bei 24 V, im Betrieb 4A - Ein LKW mit OBU kann nicht länger als drei Tage abgestellt werden, sonst ist die Batterie leer!

Das Toll Collect-System stützt sich auf GPS. Das muß < 10m genau sein. Ist es zu 95% auch, außer ist es gerade Krieg mit Beteiligung der USA ...

5 Mrd. Euro Mauteinnahmen sind im Bundeshaushalt verzeichnet. Die mussten auch rein, sonst wäre nach Angaben des Referenten der Haushalt verfassungswidrig gewesen. Wenn's jetzt doch nicht kommt - egal, dann gibt's einen Nachtragshaushalt.

Eine gute Nachricht verkündete der Referent auch: Die Verkehrsüberwachung funktioniert jetzt. Dazu sind die Mautbrücken auf den Autobahnen gut. Sie erfüllen übrigens nur diesen Zweck. Erfasst werden nur Lastwagen - es sei denn, es gibt einen Verdacht auf Terrorismus, dann werden alle Fahrzeuge, auch PKW, erfasst.

Fazit: Amüsanter Vortrag über eines der seltsamsten Projekte der letzten Jahre. Mir hat's gefallen, einem Zuhörer nicht - er warf den Referenten "pure Polemik auf Bild-Zeitungs-Niveau" vor. Auf Nachfrage des Referenten, was er den wissen möchte, er sei bereit, erwiderte dieser nur, dass das ja eh keinen Sinn mache ...

# Ralf Graf, 29.12.04, 18:32 Uhr.